In der Musikwissenschaft liegt mein Schwerpunkt auf der musikalischen Rhetorik. Als Linguistin gehe ich dem Sprachcharakter vor allem der Barockmusik nach und verfasste meine Diplomarbeit über die Semantik der Musik des 16. bis 18. Jahrhunderts. Unter dem Titel "Versuch einer Anweisung mit dem Bogen zu reden" behandelte ich den Sprachcharakter der Musik und dessen Umsetzung auf einem Streichinstrument. Seither verfolgt mich die "Klangrede", sowie die musikalische Rhetorik bis in die Spätromantik, ich forsche über den Gebrauch musikalischer Figuren bei Heinrich Ignaz Franz Biber, Johann Sebastian Bach bis hin zu Franz Schubert und Franz Liszt. An der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Frankfurt unterrichte ich die Geschichte, Stilistik und Literatur der Streichinstrumente. Zuletzt experimentierten die Studierenden mit verschiedenen Haltungen auf historischen Instrumenten und erforschten Zusammenhänge zwischen Instrumentenbau, Mensur und der historischen Spielweise der verschiedenen Streichinstrumente.
Meine Dissertation widmete sich der Aufführungspraxis Richard Wagners und Johannes Brahms unter besonderer Berücksichtigung der Geiger August Wilhelmj und Joseph Joachim. Auf Symposien in Wien, Oxford, Frankfurt, Köln u.a. referierte ich insbesondere über die Entwicklung des Violinspiels im 19. Jahrhundert.
Aktuell gilt mein besonderes Interesse den Zusammenhängen von Gesang und Violinspiel. In Zusammenarbeit mit dem Sänger Franz Vitzthum entstehen Projekte über die Interpretationspraxis bei Franz Schubert. In diesem Zusammenhang finden Workshops und Seminare an Dr. Hoch`s Konservatorium und der Musikhochschule Frankfurt statt. Im Fokus stehen der musikalische Vortrag und die Symbolik und Rhetorik im Liedschaffen des Komponisten.
Mit dem Pianisten Dmitry Ablogin arbeite ich an der Aufführungspraxis bei Johannes Brahms. Zusammen mit der Pianistenklasse von Dmitry Ablogin findet im November dieses Jahres ein Workshop über die Musik für Streicher und Klavier und Kammermusik von Brahms statt. Studierende der HfMdK erarbeiten im Rahmen des Seminars "Stilistik der Streichinstrumente" Möglichkeiten des Freispiels und Prinzipien "musikalischer Schönheit".
Weiterhin ist der Sprachcharakter der "alten Musik" mein Herzensthema. Geplant ist an dieser Stelle ein blog mit Artikeln über die Textausdeutung in der Musik Johann Sebastian Bachs - insbesondere der Literatur für Violine und Cello solo.
Quelle: Concerto - Magazin für Alte Musik 09/11
Vorhang auf! - Die Bühne der Malerei
Nicolas Régnier - ein Gesamtkunstwerk: Die Musik aus der Perspektive der Schwesterkünste - von Mareike Beckmann
Bilder, welche die Musik thematisieren, geben häufig Auskunft über musikhistorisch relevante Fragestellungen. Insbesondere zur Klärung von Haltungsfragen oder solchen, die über diverse optisch darstellbare Themen informieren, ist die Malerei aus der Musikwissenschaft nicht wegzudenken. Doch auch über das Augenscheinliche hinaus, liefert die bildende Kunst ein unermessliches Potential an Informationsquellen. Insbesondere durch die enge Verwandtschaft der Künste des Abendlandes lassen sich Beziehungen ausmachen, die ein im wahrsten Sinne des Wortes – geschlossenes Bild – über die Zusammenhänge der Schwesternkünste vor Augen führen. Rhetorik, Musik und bildende Kunst sind ein Dreigestirn, welches sich um zahlreiche Schwestern ergänzen lässt. Die Symbolik, sowohl der Gesten, der musikalischen Figuren, der Zahlen, aber auch anderer Attribute des im Kunstwerk dargestellten, lässt eine Sprache entstehen, welche der Kunst das Leben einhaucht. Das Stillleben wird zum wahren Leben und bietet Einblicke in vergangene Zeiten.
Der flämische Maler Nicolas Régnier, welcher in die Fußstapfen Caravaggios trat und in Italien wirkte, öffnet den Vorhang zur ersten Szene. Die Bühne ist spärlich bestückt – eine antike Säule gibt Aufschluss über den Ort des Geschehens. Die Symbolik des Bildes lässt den Betrachter einem Gespräch lauschen, das die Poesie und die Musik miteinander führen.
Régniers Bild "die göttliche Inspiration der Musik" entstand um das Jahr 1640.
Es zeigt die personifizierte Dichtkunst und Musik. Die Poesie steht mit der Spanne von Kopf und Hand im Zentrum des Bildes, während die Musik sich, dem Herzen der Poesie zugewandt, zu ihrer Linken befindet. Wie es im Barock üblich ist, hält die Poesie ihre rechte Hand als optische Vertreterin des Verstandes dem Herzen gegenüber erhöht. Auch die Position der Poesie gegenüber der Musik ist leicht erhöht. Ihr Blick senkt sich auf die Musik und drückt eine unmissverständliche Rangordnung aus.
Aufschauend zeigt die Musik höchste Aufmerksamkeit und folgt damit der Geste der Poesie. Diese ist mit der Dichterkrone geschmückt. Nach antikem und römischem Brauch bedeutete der Lorbeerkranz die höchst mögliche Auszeichnung eines Dichters. Der "poeta laureatus" gewann in der Renaissance erneute Bedeutung, und wurde bis ins Barockzeitalter nur durch Kaiser und durch ihn berufene Auserwählte gekrönt. Der Träger der Dichterkrone war mit der Auszeichnung von akademischem Rang dazu befugt, an sämtlichen Universitäten des Reiches Vorlesungen über Poetik und Rhetorik zu halten.
Die Geste der Poesie zeigt ein Symbol für die Aufmerksamkeit, welches seit der Renaissance zum Allgemeingut der Kunstdarstellung zählt. Nach dem Chirogramm von John Bulwer aus dem Jahr 1644 bedeutet die Geste der Poesie „attentionem poseit“.
Die Geste der Poesie jedoch ist doppeldeutig. Sowohl die Öffnung zwischen Zeigefinger und Daumen, als auch die der Poesie zugewandte Innenseite der Hand zeigt diejenige Geste an, welche John Bulwer mit „Compello“ betitelt, was in diesem Zusammenhang soviel bedeutet wie anreden, ansprechen, anrufen. Der Fingerzeig nach oben lässt sich direkt als das Ansprechen und Anrufen Gottes deuten, was der Titel „Die göttliche Inspiration der Musik“ bestätigt. Mit der Position der rechten Hand der Poesie wird diese direkt mit dem Göttlichen in Verbindung gesetzt.
Die rechte Hand der Musik ist in der Geste der „Reservatione saluto“ dargestellt. Diese bedeutet, dass die Musik es sich vorerst vorbehält, den Göttern ihre Verehrung zu erweisen. Sie wartet die Belehrungen der Poesie geduldig und vertrauensvoll ab und verbleibt in der Passivität, solange diese den Finger erhoben hält. Der Ausdruck der Passivität ist dadurch gesteigert, dass die Hand auf dem Tisch aufliegt. Zudem wird die Musik durch die Position der linken Hand der Poesie gehindert, den Arm zu heben. Unter der Violine ruhend macht die Musik der linken Hand der Poesie Platz, sich an die Stelle zu begeben, an welcher im Spiel die Musik ihre Hand bewegen würde.
Mit der Berührung der Arme beider Künste deutet Régnier eine Geste an, welche bei Bulwer mit „Confido“ benannt wird und das Vertrauen der beiden Frauen auf dem Bild symbolisiert. Mit dieser Geste verbildlicht Nicolas Régnier John Miltons (1608 -1674) Gedicht at a solemn music:
„Beglücktes Paar bezaubernder Schönen, Kinder der himmlischen Freude, in der Oberwelt geborene harmonische Schwestern, Musik und Poesie. Vereint Eure göttlichen Töne und wirkt mit doppelter Gewalt.“
Mit der Vereinigung der göttlichen Schwesternkünste steht das Bild in der von Giulio Caccini begründeten Tradition der „nuove musica“, welche die seconda pratica als oberstes Prinzip der Musik erklärt. Die seconda pratica bedeutet eine Hinwendung zur Textverständlichkeit gegenüber der textunverständlichen Polyphonie des Mittelalters. Damit wird der menschlichen Stimme die Vorherrschaft in der Musik zugesprochen. Der in Musik übersetzte Sprachgestus bildet die Grundlage der Musikästhetik bis ins 19. Jahrhundert hinein. Es entsteht daraus das Prinzip der Klangrede, wie Matthesson die Verbindung der Versmaße mit den entsprechenden Klangfüßen 1739 bezeichnen wird.
Der Begründer der seconda pratica, Giulio Caccini, war Mitglied der Florentiner Camerata, welcher auch der Komponist Jacopo Peri angehörte. Während es Caccini mit seiner unvollendeten Komposition „La Daphne“, die er 1595 begann, nicht gelang die „erste Oper“ zu schaffen, vollendete Jacopo Peri zum Florentiner Carneval 1597 "la daphne favola drammatica“ und schuf damit ein Werk, welches als das erste einer vollkommen neuen Kompositionsform gilt – die Oper.
Die seconda pratica ist im Bild von Nicolas Régnier dargestellt. „Prima la parole“ scheint die Poesie zu mahnen. Des Weiteren scheint sie Quintilians Rede des II Buchs zu erklären:
All die Empfindungen, welche Meyfahrt aufführt, verweisen auf die Affekte, welche die Grundlage der Redekunst bilden.
Das meiste Licht im Bild, ist auf das Decolleté der Poesie gerichtet.
Der offene, Kehle, Brust und Herz andeutende Halsausschnitt, gilt als Symbol für die menschliche Stimme, welche die Seelenempfindung, die Gemütsbewegungen, Leidenschaften und Affekte in die Rede einfließen lässt und den Weg zum Belcanto weist. Die menschliche Stimme nachzuahmen vermag im 17. Jahrhundert vor allem die Violine. Diese Vorherrschaft des Instruments spiegelt sich im Bild wider. Die vornehmlich zum Continuo verwendeten Instrumente Theorbe und Laute haben dem Betrachter den Rücken zugewandt, und auch die viola da gamba liegt unter einem Stapel von Instrumenten und Büchern begraben und kann nicht singen.
Dass die Poesie der Musik „bildlich gesprochen“ der Musik den Bogen führt, in dem sie ihr das Versmaß der Dichtung zugrunde legt, zeigt sich in einer optischen Täuschung, welcher zufolge die Poesie ihre linke Hand an der Stelle verweilen lässt, an welcher die Musik im Spiel ihre Hand zum Führen des Bogens halten müsste. Der helle Buchschnitt, auf welchem die Hand der Poesie ruht, deutet vor dem dunklen Hintergrund die Gerade eines Bogens an. Es handelt sich bei dem Bogen um ein typisches, stark konvexes, italienisches Modell des frühen 17. Jahrhunderts, wie es auch Caravaggio und seine Zeitgenossen in seinen Bildern darstellen. Caravaggio, Amor victorius, 1601-1602:
Die Hand der Poesie ist auf dem Buchschnitt so positioniert, dass sie die Rundung der Saiten zur Buchmitte hin als einen Frosch erscheinen lässt. Dieser weist exakt die Rundung des Frosches der Musik auf.
Die Poesie hindert mit ihrer Handposition die Musik am Spielen und scheint die Bogenführung selber zu übernehmen. Die im Bild verwendete frühbarocke Bogenhaltung zeichnet sich dadurch aus, dass der kleine Finger sich nicht auf, sondern hinter der Stange befindet, während der Zeigefinger die Bogenstange umschließt.
Gaudenzio Ferrari (1535):
Diese Bogenhaltung befürwortet eine artikulierte Art des Violinspiels, bei welcher die Hebungen und Senkungen eines Vers- oder Klangfußes durch Druck verstärkt und beim Lösen des Drucks geschwächt werden. In dieser rhetorischen Spielweise sieht Jean Rousseau die wahre Göttlichkeit der Musik und schreibt in seinem Traktat „de la viole“:
Es ist nicht zufällig, dass Regniér als Allegorie für die Dichtkunst die Attribute der Daphne wählt, welche vom Lorbeerkranz geschmückt auf die beiden ersten Opern überhaupt verweisen - die Opern mit der Thematik Daphnes von Caccini und Peri.
Die Kalliope ist die Muse der Eloquenz und bei Ovid die Königin aller Musen. Sie vermittelt sowohl den Dichtern, als auch den Musikern ihre Inspiration. Die göttliche Inspiration der Musik.
C: Mareike Beckmann
Quellen: John Bulwer, Chirologia, London 1644/ Joh. Matthäus Meyfahrt, teutsche Rhetorica oder Redekunst, Erfurt 1634. S.21/Jean Rousseau: Traité de la viole, Paris 1687, S. 107/ Bildquellen: Wikipedia